Darmkrebs – wir sind auf dem richtigen Weg!- Experteninterview mit Prof. Lutz Mirow

09.08.2024

Prof. Dr. med. habil. Lutz Mirow, Facharzt für Viszeralchirurgie, hat sich einen Namen als führender Experte für komplexe chirurgische Eingriffe im Bauchraum gemacht. Mit einem breiten Spektrum an Spezialisierungen, darunter Pankreaschirurgie, Speiseröhrenchirurgie, Magenchirurgie, Darmchirurgie, Leberchirurgie und onkologische Chirurgie, ist Prof. Dr. Mirow bekannt für seine außergewöhnliche Fachkompetenz und sein Engagement für eine herausragende Patientenversorgung.

Als Klinikdirektor der Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Klinikum Chemnitz in Sachsen hat Prof. Dr. Mirow die Einrichtung zu einer renommierten Institution in der Region und darüber hinaus gemacht. Unter seiner Leitung wurde die Klinik zu einer Top-Adresse für Patienten mit komplexen chirurgischen Bedürfnissen und hat sich als Zentrum für innovative Behandlungsmethoden etabliert.

Besonders bekannt ist Prof. Dr. Mirow für seine wegweisenden Leistungen bei roboterunterstützten Operationen. Seine Expertise erstreckt sich über eine Vielzahl von Verfahren, von der Gallenblasenentfernung bis zur komplexen Tumorresektion an der Bauchspeicheldrüse, und sein Einsatz modernster OP-Roboter wie dem Versius-System hat ihn zu einem international anerkannten Experten auf diesem Gebiet gemacht.

Neben seiner Arbeit als Klinikdirektor ist Prof. Dr. Mirow auch aktiv in der klinischen Forschung und Weiterbildung. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und ist ein gefragter Referent auf nationalen und internationalen Konferenzen. Sein Engagement für die Ausbildung der nächsten Generation von Chirurgen und seine Bemühungen, neue Standards in der Patientenversorgung zu setzen, machen ihn zu einer einflussreichen Figur in der medizinischen Gemeinschaft.

Prof. Dr. Mirow ist nicht nur ein Experte auf seinem Fachgebiet, sondern auch ein engagierter Fürsprecher für seine Patienten. Er legt großen Wert auf eine individuelle Betreuung und einen ganzheitliche Behandlungsansatz, der die Bedürfnisse und Wünsche der Patienten in den Mittelpunkt stellt.

Die Redaktion des Leading Medicine Guide sprach mit Prof. Dr. Mirow und konnte zum Thema Darmkrebs wichtige Informationen erhalten.

Prof. Dr. med. habil. Lutz Mirow

Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebsarten weltweit und stellt eine bedeutende gesundheitliche Herausforderung dar. In Deutschland erkranken jährlich etwa 60.000 Menschen neu an dieser Krankheit, die sowohl den Dickdarm als auch den Mastdarm betreffen kann. Trotz der alarmierenden Zahlen gibt es Hoffnung: Durch regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und frühzeitige Erkennung kann Darmkrebs in vielen Fällen erfolgreich behandelt werden.

Genetische Faktoren spielen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Darmkrebs. Es gibt mehrere genetische Mutationen und Veranlagungen, die das Risiko für Darmkrebs signifikant erhöhen können. 

In jedem Fall ist es so, dass das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, sehr viel höher ist, wenn bereits Mitglieder der eigenen Familie eine Darmkrebserkrankung hatten, und zwar ganz unabhängig von Syndrom Erkrankungen wie Lynchsyndrom und Polyposis. Wenn nämlich Vorfahren an Darmkrebs erkrankt sind, haben die nächsten Angehörigen ein bis zu 10-fach erhöhtes Risiko. Deswegen müssen die Nachkommen von Darmkrebserkrankten dringend Vorsorgeuntersuchungen machen lassen und dies vor dem empfohlenen Alter von 50 Jahren. Das 50. Lebensjahr kann dann deutlich zu spät sein, das weiß man. Diejenigen, die erbliche Darmerkrankungen in der Familie haben, müssen ganz engmaschig beobachtet und zum Teil auch prophylaktisch operiert werden. Vorsorge rettet Leben! Da sind wir auch wahrscheinlich erfolgreich, denn es gibt eine leicht abnehmende Inzidenz das Kolorektal Karzinom betreffend. Noch kann man den Grund der Abnahme aber nicht klar benennen“, erklärt Prof. Dr. Mirow.

Bei erblichen Darmerkrankungen ist es klar, dass Nachkommen zu fast 100% auch Darmkrebs bekommen werden. Ein prominentes Beispiel ist die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), die durch eine Mutation im APC-Gen verursacht wird. „Diese Erkrankung führt zur Entwicklung zahlreicher Polypen im Dickdarm, oft schon im Jugendalter, und birgt ein nahezu 100%iges Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, wenn sie unbehandelt bleiben. Hier ist eine mehrfache Vorsorge im Jahr wichtig. Oft wird minimal invasiv der Dickdarm auch entfernt und kann über eine sogenannte Pouch-Bildung rekonstruiert werden, sodass die Lebensqualität erhalten bleibt“, konstatiert Prof. Dr. Mirow.

Ein weiteres wichtiges erbliches Syndrom ist das Lynch-Syndrom, auch bekannt als hereditäres nicht polypöses Kolonkarzinom (HNPCC), welches durch Mutationen in DNA-Reparaturgenen wie MLH1, MSH2, MSH6 und PMS2 verursacht wird. Das Lynch-Syndrom ist durch eine geringere Anzahl von Polypen gekennzeichnet, jedoch mit einem hohen Risiko für Darmkrebs und andere Krebsarten verbunden, wobei das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, bei 70-80% liegt. Genetische Tests spielen eine zentrale Rolle, um Hochrisikopersonen zu identifizieren. Diese Tests umfassen die DNA-Sequenzierung und das Testen auf spezifische Genmutationen, wie etwa im APC- oder MLH1-Gen. Personen, die ein hohes genetisches Risiko aufweisen, sollten regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere Koloskopien, durchführen lassen. Die Häufigkeit dieser Untersuchungen hängt vom individuellen Risiko ab und kann von jährlich bis alle zwei bis fünf Jahre variieren.

In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte in der Behandlung von fortgeschrittenem Darmkrebs erzielt, insbesondere im Bereich der zielgerichteten Therapien. 

Prof. Dr. Mirow äußert sich optimistisch: „In den letzten Jahren sind wir wirklich weitergekommen. So hat sich der Bereich der neoadjuvanten Therapien vor allem beim Rektumkarzinom enorm entwickelt. Dann gibt es auch das total neoadjuvante Konzept, bei dem sowohl eine Strahlen- und komplette Chemotherapie vor einer Operation gegeben werden. Weiterhin haben wir Patienten, die so gut auf die Therapien ansprechen, dass in ein `Watch and „Wait´ (beobachten und warten) übergegangen wird. Hier werden die Patienten zum Teil auch in Studien beobachtet, ob und wann sie ein Karzinom im Zweifelsfall wiederkriegen. `Watch and Wait´ hat den großen Vorteil, dass man den Enddarm erhalten kann und die Lebensqualität der Patienten viel höher ist. Darüber hinaus haben wir den weiten Bereich der gezielten Tumortherapie wie die der Immun- und Antikörpertherapie, die sich entwickelt haben. Da gibt es enorme Fortschritte, und jährlich kommen neue Medikamente auf den Markt, die auch beim fortgeschrittenen Karzinom erstaunliche Erfolge haben. So ist zum Beispiel auch der künstliche Darmausgang die Ausnahme geworden. Das trifft nur noch auf Menschen zu, die wirklich ganz tiefsitzende Karzinome haben, bei denen der Schließmuskel selbst mitbefallen ist und bei denen, die in der Vorbehandlung schlecht auf die Radiochemotherapie reagiert haben – maximal 5% der Patienten“.

Bei der Behandlung von Darmkrebs stehen verschiedene chirurgische Optionen zur Verfügung, die je nach Tumorstadium, Lage und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten ausgewählt werden. 

Die Therapie der Wahl bei einer Tumorentfernung ist immer die chirurgische Resektion. Die komplette Tumorentfernung inklusive Lymphknoten geht natürlich im besten Falle minimal invasiv, also mittels Schlüssellochtechnik, was sich auch immer weiter durchsetzt. In Deutschland werden leider nur ca. 40% der Eingriffe minimal invasiv durchgeführt. Da sind andere Länder in Europa viel weiter. Hier wäre eine intensivere Zentralisierung der Krebschirurgie in Deutschland wünschenswert, um Patienten auch die bestmögliche Expertise zukommen lassen zu können von den Chirurgen, die viele Operationen pro Jahr durchführen und damit über einen hohen Erfahrungsschatz verfügen. Was sich immer mehr durchsetzt, ist die robotische Chirurgie, was nochmal einen positiven Schub gibt. Wir arbeiten mit dem Versius System und verfügen über ein großes robotisches Programm“, verdeutlicht Prof. Dr. Mirow.


Das Versius-System ist ein robotergestütztes Chirurgie System, entwickelt von CMR Surgical, das minimalinvasive Eingriffe präziser und flexibler gestaltet. Es zeichnet sich durch seine modulare und kompakte Bauweise aus, die eine flexible Positionierung der Roboterarme ermöglicht. Das System bietet eine ergonomische Steuerkonsole, die eine sitzende Bedienung ermöglicht, sowie Instrumente mit 360-Grad-Drehung für umfassende Bewegungsfreiheit.


Eine häufig angewandte chirurgische Methode ist die Kolektomie, bei der derjenige Teil des Dickdarms entfernt wird, der den Tumor enthält, sowie ein Stück des benachbarten gesunden Gewebes. Je nachdem, welcher Abschnitt des Dickdarms betroffen ist, kann es sich um eine partielle Kolektomie handeln, bei der nur ein Teil des Dickdarms entfernt wird, oder um eine Hemikolektomie, bei der entweder die rechte oder die linke Hälfte des Dickdarms entfernt wird. In Fällen, in denen der Tumor den gesamten Dickdarm betrifft oder wenn eine umfassende Entfernung erforderlich ist, kann eine totale Kolektomie notwendig werden, was aber, wie Prof. Dr. Mirow schilderte, sehr selten der Fall ist.

Bestimmte Ernährungs- und Lifestyle-Gewohnheiten können das Risiko für die Entwicklung von Darmkrebs erhöhen. 

Die Ernährung ist ein wichtiger Faktor für die Gesunderhaltung des Darms. Eine Ernährung, die reich an rotem und verarbeitetem Fleisch ist, wie zum Beispiel Rindfleisch, Wurstwaren und Schinken, wurde mit einem erhöhten Risiko für Darmkrebs in Verbindung gebracht. Diese Lebensmittel enthalten oft krebserregende Substanzen, die durch Verarbeitungs- und Zubereitungsmethoden wie Räuchern oder Grillen entstehen. Ebenso kann eine Ernährung, die arm an Ballaststoffen ist und wenig Obst und Gemüse enthält, das Risiko erhöhen, da Ballaststoffe die Darmgesundheit fördern und die Passagezeit von Nahrungsresten durch den Darm verkürzen, wodurch weniger Zeit für potenziell schädliche Substanzen bleibt, um auf die Darmwand zu wirken. Ballaststoffe fördern die Darmtätigkeit, binden Wasser und fördern einen regelmäßigen Stuhlgang“, macht Prof. Dr. Mirow deutlich und ergänzt: „Übergewicht ist ebenfalls ein bedeutender Risikofaktor, was seinen Ursprung oft in mangelnder körperlicher Aktivität hat. Darüber hinaus kann hoher Alkoholkonsum und Rauchen das Risiko für Darmkrebs erhöhen, da diese Substanzen krebserregende Stoffe enthalten und Entzündungen im Körper fördern können“.

Es ist ratsam, regelmäßig Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte zu konsumieren, da diese Lebensmittel wichtige Nährstoffe und Antioxidantien enthalten, die zur Gesunderhaltung des Darms beitragen. Eine regelmäßige körperliche Aktivität, wie zum Beispiel mindestens 30 Minuten moderates Training an den meisten Tagen der Woche, kann ebenfalls das Risiko verringern. 

Forschung und Entwicklung – Tumormedizin aus einer Hand in Chemnitz!

Die technischen Entwicklungen werden in den nächsten Jahren rasant voranschreiten. So werden wir in der Robotik Systeme haben, die Gewebe automatisiert erkennen, werden noch schonender operieren und Nervenstrukturen noch besser identifizieren können, um die Funktionsfähigkeit der Organe noch besser zu schützen. Auch die Bildgebung wird sich noch weiter verbessern, und da werden wir auch eine virtuelle Bildgebung haben und werden mit 3D-Technik durch den Darm schweben können. Spannend ist eine Entwicklung in den USA, wo es einen ersten genetischen Stuhltest gibt, bei der nach Tumor DNA gesucht wird, sodass sich in den nächsten Jahren sicherlich auch in der Früherkennung etwas ändern wird“, so Prof. Dr. Mirow zu Fortschritt und Technik und äußert noch den Wunsch: „Ich wünsche mir für das Klinikum Chemnitz gGmbH, dass wir als Maximalversorger die Zentrumsfunktion noch mehr ausbauen können, so dass noch mehr Patienten den Vorteil bekommen, Tumormedizin aus einer Hand zu erhalten!“. Damit schließen wir unser Gespräch.

Vielen Dank, Prof. Dr. Mirow, für diese optimistischen Einblicke in die Behandlung von Darmkrebs!

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