Mut zur neuen Hüfte!! Geht nicht, gibt´s nicht! - Experteninterview mit Peter Herrchen

09.09.2024

Peter Herrchen, geboren in Wiesbaden, Diplom-Betriebswirt, blieb trotz einer zu spät erkannten Hüftdysplasie, die zu zwei Hüft-Endoprothesen führte, sportlich aktiv, insbesondere im Tischtennis und später auch im Triathlon. Peter Herrchen engagiert sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich, war Abteilungsleiter beim TuS Eintracht Wiesbaden und wurde dafür 1996 mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen ausgezeichnet. Er ist Mitautor der Bücher "Mut zur neuen Hüfte!!" und "Mut zum neuen Knie!", betreibt den Blog TEPFIT® - Endoprothese und Sport und die Facebook-Gruppe TEPFIT mit knapp 8000 Mitgliedern – Stand August 2024.

2022 gründete er den Verein ArthroseKompetenzNetzwerk TEPFIT e.V. und vernetzt sich international mit der Osteoarthritis Foundation International und dem European Network on OsteoArthritis. Seit 2023 führt er zusätzlich den YouTube-Kanal ArthroseFIT. Seit Juni 2024 ist er Gründungsmitglied des EU NetwOArk Patient Council. Trotz seiner gesundheitlichen Herausforderungen bleibt er ein Vorbild für viele Betroffene und zeigt, dass ein aktives Leben auch mit künstlichen Gelenken möglich ist.

Die Redaktion des Leading Medicine Guide hatte Gelegenheit, mit Peter Herrchen zu sprechen und ging in einen Diskurs zum Thema Hüftendoprothetik.

Peter Herrchen

Die Entscheidung für oder gegen einen Gelenkersatz ist für viele Patienten eine komplexe und herausfordernde Angelegenheit. Dieser Eingriff, bei dem das natürliche Gelenk durch ein künstliches ersetzt wird, kann erhebliche Erleichterung von chronischen Schmerzen und eine Verbesserung der Lebensqualität bringen. Gleichzeitig sind damit jedoch auch Risiken verbunden, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Patienten und Ärzte stehen vor der Aufgabe, die individuellen Gesundheitszustände, Lebensumstände und Erwartungen zu berücksichtigen, um die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Wichtig ist es, sich als Betroffener gut zu informieren, wo und bei wem eine Gelenkoperation durchgeführt werden soll. 

Als ich selbst betroffen war und erhebliche Schmerzen aufgrund einer zu spät erkannten Hüftdysplasie hatte, machte ich mich natürlich auch auf die Suche nach einem geeigneten Arzt. Wir reden hier vom Jahr 1996, ich war 39 Jahre jung, das Internet steckte noch in den Anfangsschuhen, und es gab auch keine Qualitätsberichte. Da konnte man sich nur auf den einen oder anderen Orthopäden vor Ort verlassen, der einem Tipps gegeben hat. Ich hatte 2-3 Kliniken im Blick, da auch mein Orthopäde, mit dem ich sehr zufrieden war, in einer der Kliniken arbeitete. Er wollte aber nicht operieren, und so bin ich in eine bekannte und renommierte Klinik nach Hamburg gegangen, die schon damals mit Abstand die meisten Hüftoperationen durchgeführt hat. Beim Aufklärungsgespräch wurde mir gesagt, dass die Hüft-TEP einzementiert und ich nach sechs Wochen wieder vollständig fit sein würde, um auch wieder meinem Tischtennissport nachgehen zu können. Das hörte sich für mich gut an, zumal ich auch als Selbstständiger so wenig Ausfallzeit wie möglich haben wollte. Die Operation, damals noch nicht minimal invasiv, lief auch gut (die Hüfte hat immerhin 21 Jahre lang gehalten), aber die Nachsorge damals war das genaue Gegenteil. Aufgrund vieler Feiertage waren während meines Aufenthalts kaum Ärzte im Krankenhaus, und ich hatte ein großes Hämatom entwickelt (vermutlich war doch bei der Operation etwas verletzt worden). Ohne die Hilfe meiner Frau, damals noch als Krankenschwester tätig, wäre alles vermutlich noch schlimmer geworden. Ich landete auf der Intensivstation, hatte eine Lungenembolie, eine Thrombose und brauchte Blutkonserven. Letztlich konnte mit Klinik und Chefarzt alles besprochen werden, und wir waren wieder im Frieden, aber mein Vertrauen hatte ich zunächst in diese Klinik verloren, auch wenn ich die Klinik grundsätzlich empfehle, da sie nachweislich eine der höchsten Expertisen für Endoprothetik hat“, schildert Peter Herrchen zu Beginn unseres Gesprächs. 


Peter Herrchen ist seit seinem 9. Lebensjahr aktiver Sportler und war in der Jugend unter den Top 15 Tischtennis-Spielern Deutschlands gelistet. Als Aktiver hat er viele Jahre in der Regionalliga (3. Liga) gespielt.


Peter Herrchen blieb 14 Tage in der Klinik, und es erfolgte dort keine Rehabilitation oder Physiotherapie. Das waren noch andere Zeiten im Vergleich zu heute – heute steht der Patient in der Regel noch am Tag der Operation auf den Füßen, auch dank der minimal invasiven Operationstechnik. Diese sorgt für ein geringeren Blutverlust, eine schnellere Wundheilung durch den viel kleineren Operationszugang und eine insgesamt geringere Belastung der Patienten. Durch die schnelle Mobilisierung heute ist ein Patient sehr schnell wieder fit für den Alltag. In den USA ist es schon gang und gäbe, dass Hüftoperationen ambulant durchgeführt werden, nach dem Motto „Hip in a day“. „Hier bin ich skeptisch. Man sollte sich da schon ein bisschen Zeit lassen. In Deutschland darf man heute die Klinik normalerweise nach 3-4 Tagen verlassen. Dennoch sollte man sich genügend Zeit nehmen, um sich zu erholen. Für mich ist das österreichische Konzept das Beste. Denn dort beginnt man erst sechs Wochen nach der Operation mit der Rehabilitation. Eine zu frühe Rehabilitation kann je nach Zustand des Patienten einer guten Einheilung hinderlich sein und den Patienten überfordern. Durch eine zu frühe Aktivität kann der Einwachsprozess gestört werden und man riskiert Frühlockerungen. Alltagsbewegungen sind da zielführender, und erst dann nach einigen Wochen macht für mich eine Rehabilitation Sinn“, erklärt Peter Herrchen und kommentiert noch seine persönliche Situation als Tischtennissportler: „Ich wollte natürlich so schnell wie möglich wieder normal laufen und hatte mir das persönliche Ziel gesetzt, ein Jahr nach der Operation einen kleinen Triathlon zu absolvieren. Das hat auch auf den Tag genau nach viel Training im Schwimmbad und im Fitnessstudio ohne Einschränkungen ein Jahr später geklappt. Mit dem Joggen habe ich allerdings auf Grund der Stoßbelastungen erst ein halbes Jahr nach der Operation begonnen und mich dann langsam gesteigert“.

2012 hat Peter Herrchen zusammen mit Heidi Rauch (auch Doppel-Titanhüften-Trägerin) das Buch „Mut zur neuen Hüfte!“ veröffentlicht, Anfang 2014 folgte das Buch „Mut zum neuen Knie!“, 2018 wurde die komplett überarbeitete und ergänzte neue Version „Mut zur neuen Hüfte!!“ veröffentlicht. 

Es war mir letztlich ein Bedürfnis, meine Erfahrungen mit der Hüftoperation und dem Umgang mit der neuen Hüfte für andere Betroffene niederzuschreiben, um diese zu informieren und vor allem, um ihnen Mut zu machen. Aus dieser Motivation entstand die Website TEPFIT® - Endoprothese und Sport, und ich schrieb zusammen mit Heidi Rauch das Buch „Mut zur neuen Hüfte!“ (inzwischen als ergänzte und komplett überarbeitete Neuauflage verfügbar) und später „Mut zum neuen Knie!“. Schließlich ist die Notwendigkeit einer neuen Hüfte oder eines neuen Knies kein Grund zu verzweifeln“, so Peter Herrchen und gibt in unserem Gespräch erste wichtige Ratschläge: „Ganz wichtig ist es natürlich, sich intensiv zu informieren, was ja dank Internet heute relativ einfach ist. Auch ist es sehr entscheidend und hilfreich, sich vor der Operation so fit wie möglich zu halten, sein Gewicht in einem gesunden und normalen Bereich zu halten, Infektionsherde wie die Zähne ausschalten und durchchecken lassen und das Rauchen einstellen (sollte man Raucher sein). Im Idealfall sucht man sich eine zertifizierte Klinik mit hohen Fallzahlen und das Gespräch mit dem jeweiligen Operateur, um diesem auch offensiv Fragen zu stellen. Hier darf man auch auf das Bauchgefühl hören, denn die Chemie sollte stimmen. Schließlich muss man Vertrauen in den Operateur haben und ihn zumindest nicht unsympathisch finden, und natürlich sollte man eine absolut positive Grundeinstellung haben. Mit dem Operateur sollte man ganz offen die eigene Erwartungshaltung besprechen, und dieser sollte ganz klar erklären, was tatsächlich machbar ist. Wichtig ist in jedem Fall zu realisieren, dass der Erfolg der Operation zu 50% vom Patienten selbst abhängt“, rät Peter Herrchen.

Mut zur neuen Hüfte


In den beiden Büchern „Mut zur neuen Hüfte!!“ und „Mut zum neuen Knie!“ berichten 30 Betroffene aus verschiedenen Altersgruppen, zwischen 22 und 78, die erfolgreich ihre Gelenkoperationen gemeistert haben und nun ihre neu gewonnene Beweglichkeit in im Alltag und bei sportlichen Aktivitäten wie Bergwandern, Rennradfahren, Golfspielen, Skifahren, Fußballspielen, Tanzen, Tennisspielen, Laufen oder Reiten genießen. Darunter u.a. auch der bekannte Fußballweltmeister Klaus Augenthaler. Acht erfahrene Operateure teilen ihr Fachwissen, während ein Sport- und Rehazentrum, das auch prominente Sportler wie Franz Beckenbauer, Boris Becker und Maria Riesch betreut, Physiotherapie-Übungen und Tipps zum richtigen Gehen beisteuert. Die Bücher bieten zudem umfassende Informationen zu (alternativen) Therapien und Hilfsmitteln, ein erweitertes Glossar, nützliche Links und weitere wertvolle Inhalte.

Die Bücher sind hier erhältlich.


TEPFIT – Fit mit künstlichen Gelenken

Im März 2015 gründete Peter Herrchen die geschlossene Facebook-Gruppe "TEPFIT – Fit mit künstlichen Gelenken (Hüfte und Knie)", in der sich (Stand August 2024) knapp 8000 Betroffene, Ärzte, Physiotherapeuten und andere Fachleute zum Thema „Künstlicher Gelenkersatz an Hüfte und Knie“ austauschen. Diese Gruppe verzeichnet monatlich einen konstanten Zuwachs von 80 bis 100 neuen Mitgliedern.

In der Facebook Gruppe bekommen wir täglich viele Fragen von Betroffenen, die sich im Jahr auf 30.000 summieren. Um aber nicht komplett abhängig von Facebook und Mark Zuckerberg zu sein, habe ich 2022 den Verein ArthroseKompetenzNetzwerk TEPFIT e.V. mit zugehöriger Webseite gegründet. Medizinische Fragen dürfen wir nicht beantworten. Daher schreiben wir Ärzte an, die auch in der Gruppe sind, und die medizinisch abgesegneten Antworten werden dann auf der Facebookseite und der Vereinsseite veröffentlicht. Aus diesem ganzen Tun haben sich mittlerweile auch internationale Kontakte ergeben, sodass die Reichweite wirklich hoch ist, was eben auch nur durch die Vereinsarbeit möglich war“, erzählt Peter Herrchen und nennt noch ein paar Beispiele der immer wiederkehrenden Fragen: „Die meisten Betroffenen stellen Fragen wie `Wie lange falle ich aus?´, `Wann kann ich wieder Auto fahren?´, „Wann kann ich wieder Sport machen oder voll meinem (körperlich fordernden) Beruf nachgehen?´. Es geht also meist um Möglichkeiten in Beruf, Alltag, Hobby und Sport. Grundsätzlich folge ich dem Motto `Geht nicht, gibt´s nicht!´, was ich allen Betroffenen als Botschaft mitgebe. Natürlich muss die Operation gut gelaufen sein, aber dann muss man selbst aktiv werden“.

Eine anstehende Operation stellt für viele Menschen eine bedeutende Lebenssituation dar, die sowohl physische als auch emotionale Herausforderungen mit sich bringt. 

In solchen Momenten ist es besonders wichtig, gut informiert und vorbereitet zu sein. Eine fundierte Aufklärung über den bevorstehenden Eingriff kann nicht nur Ängste und Unsicherheiten mindern, sondern auch zu einer besseren Genesung und einem erfolgreichen Behandlungsergebnis beitragen. Durch das Einholen von Informationen über die Art der Operation, die möglichen Risiken und Komplikationen sowie über die postoperative Pflege und Rehabilitation, können Patienten aktiv an ihrem Heilungsprozess teilnehmen. Dies stärkt nicht nur das Vertrauen in das medizinische Team, sondern ermöglicht es auch, fundierte Entscheidungen zu treffen und realistische Erwartungen zu entwickeln.

Ich persönlich bin immer sehr darum bemüht, bei Patientenveranstaltungen darüber aufzuklären, wo man sich zuverlässige Informationen zur Hüftendoprothetik beschaffen kann und erkläre, worauf man bei der Suche im Internet achten sollte. Zunächst gilt es, ein Gespräch mit dem Operateur seines Vertrauens zu suchen. Auch Fachgesellschaften für Endoprothetik (https://www.ae-germany.com und https://dgou.de) sind eine sehr gute Anlaufstelle. Natürlich ist ganz besonders www.endocert.de mit der Datenbank aller zertifizierten Endoprothetik Zentren zu empfehlen oder auch die Website www.gesundbund.de, die vom Bundesministerium für Gesundheit ins Leben gerufen wurde. Der Leading Medicine Guide hat mich zunächst (vor 5 Jahren) nicht so begeistert. Mittlerweile hat sich das maßgeblich geändert, da hier nun mehr Experten im Portal zum Thema Endoprothetik zu finden sind, sich die Anzahl der medizinischen Fachbeiträge stark erhöht und qualitativ verbessert hat und die Transparenz der Aufnahmekriterien einen hohen Stellenwert erhalten hat. Deswegen führen wir ja jetzt auch dieses Gespräch! Besonders hervorzuheben ist noch die ausführliche Darstellung der Zertifizierungskriterien für Endoprothetikzentren (EPZ) und die Gegenüberstellung der Unterschiede zwischen EPZ und EPZmax. Ärzte und Kliniken, die diese Kriterien erfüllen, sind direkt mit dem entsprechenden EndoCert-Logo im Profil gekennzeichnet.“, äußert Peter Herrchen und berichtet noch von den zahlreichen Resonanzen auf seine Empfehlungen: „Viele Leser unserer Webseiten und Bücher schreiben Dankesbriefe an uns und schildern, dass sie es ohne unsere „Mutmach-Bücher“ nicht geschafft hätten, wieder ein Leben mit hoher Qualität zu führen. Das zeigt, dass die positive Motivation ganz wichtig ist. Denn viele medizinische Fachbücher für Patienten inspirieren nicht wirklich, da sie oft zu viele Restriktionen enthalten. Daher haben wir Geschichten von Patienten veröffentlicht, die ähnlich sportlich motiviert sind wie meine Co-Autorin und ich, um Tipps und persönliche Erfahrungen aus dem direkten Patientenmund aufzuzeigen und haben das mit ärztlichen Tipps kombiniert – wohl wissend, dass es auch Komplikationen geben kann. Deshalb ist eine Gelenk-OP immer nur die Ultima Ratio. Die Aufklärung und Anleitung zum `Self Empowerment´ müssen einen hohen Stellenwert erhalten, alle konservativen Behandlungsoptionen gemäß den Leitlinien ausgeschöpft und mit dem Arztgespräch auf Augenhöhe kombiniert werden. Auch die Präventionsarbeit, die in Deutschland leider stark vernachlässigt ist (mit nur 1% der Gesamtausgaben des Gesundheitswesens), muss unbedingt ausgeweitet werden. Prävention und Gesundheitskompetenz sollten tatsächlich Schulfächer werden“. Mit diesem Wunsch und diesem Appell schließen wir unser Gespräch.

Herzlichen Dank, Herr Herrchen, für das so sympathische und persönliche Gespräch zum Thema Endoprothetik aus Patientensicht!

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